Wer Pech hat, wird geküsst
Ich werde später mal Schauspielerin. Wenn ich erst mal berühmt bin, macht es mir auch nichts mehr aus, dass mich alle Leute anschauen. Aber jetzt bin ich ja noch nicht berühmt. Deswegen macht es mir noch was aus. Außerdem spiele ich keine verliebte Heldin, sondern nur Flöte. Ich spiele dauernd falsch. Natürlich spiele ich dauernd falsch. Nur gut, dass die anderen auch so falsch spielen wie ich. Obwohl wir die Stücke so lang geübt haben. Und obwohl unser Flötenlehrer Herr Anderle unter seinen aufgeklebten Nikolausaugenbrauen so heftig mit den Augen rollt. Aber ehrlich: Kann irgendein Flötenspieler auf der Welt richtig feierlich Flöte spielen, wenn sich sein Publikum so komisch benimmt? Von den ungefähr hundert Leuten, die vor uns im weihnachtlich flimmernden Saal sitzen, sind bestimmt schon zwanzig eingeschlafen. Einige von ihnen schnarchen heftig. Noch mal zwanzig schniefen und heulen. Manche eher heimlich und leise, die anderen ziemlich laut. Andauernd schnäuzt sich jemand heftig. Das ist viel lauter
als fünfzehn Flöten. Und wer nicht schläft oder heult, macht was ganz anderes. Am schlimmsten ist die Frau ganz vorne links. Die, die so aussieht, als wäre sie extra zum Konzert aus dem Grab gestiegen. Die redet die ganze Zeit laut vor sich hin. Manchmal reißt sie die Arme hoch und stößt ein wildes Gelächter aus. Ihre dicke Nachbarin schubst sie dann und guckt ganz böse. Wenn sie geschubst worden ist, sitzt sie eine Weile ruhig da und sabbert. Es ist total ekelhaft. Und dabei soll ich feierlich Flöte spielen.