Die Torte für Feinde

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Es hätte ein perfekter Sommer sein sollen. Mein Vater hatte mir geholfen, ein Baumhaus hinter im Garten zu bauen. Meine Schwester war für drei Wochen auf einem Camp und ich spielte endlich in der besten Baseball-Mannschaft der Stadt. Es hätte der perfekte Sommer sein sollen, wurde es aber nicht.

 

Alles lief glatt, bis Markus in unsere Nachbarschaft zog, genau in das Haus neben dem meines besten Freundes Peter. Ich mochte Markus nicht. Er lachte mich aus, wenn er gegen mich Baseball spielte und gewann. Er gab eine Trampolin-Party bei sich zu Hause und ich wurde nicht ein Mal eingeladen, aber Peter, mein bester Freund, schon. Markus war der einzige Name, der auf meiner Feindeliste stand. Ich hatte noch nicht einmal meine bis er in unsere Nähe gezogen war, aber sobald er ankam, brauchte ich eine. Ich hing sie in mein Baumhaus, in das Markus nicht hinein durfte.

 

Vater kannte sich gut mit Feinden aus. Er erzählte mir, dass auch er welche hatte, als er im gleichen Alter war wie ich. Deshalb kannte er einen Trick, um sie loszuwerden. Ich bat ihn, mir den Trick zu erzählen. «Erzählen? Ich werd’s dir zeigen!», sagte er. Und er nahm ein sehr altes Kochbuch aus dem Küchenregal in dem ein oft gebrauchter Zettel mit unbekannter und verblasster Handschrift lag. Mein Vater hob ihn hoch und schielte:

«Torte für Feinde», sagte er zufrieden.

Höchstwahrscheinlich fragt ihr euch gerade, was genau eine „Torte für Feinde“ ist. Das fragte ich mich auch, aber mein Papa sagte, das Rezept sei so geheimnisvoll, er könnte es sogar mir nicht sagen. Ich beschloss, sie musste bestimmt magisch sein. Ich flehte meinen Vater an, mir wenigsten einen Tipp zu geben.

«Nur eines kann ich dir verraten: Die ‚Torte für Feinde‘ ist das schnellste und bekannteste Mittel, Feinden loswerden.» Natürlich dachte ich lange darüber nach, was für Sachen — eklige Sachen —in so eine Torte für Feinde hineinkamen? Ich brachte Vater Unkraut aus dem Garten, aber er schüttelte den Kopf. Ich brachte ihm Regenwürmer und Steine, aber er meinte, er bräuchte sie nicht. Ich überreichte ihm meinen Kaugummi, an dem ich den ganzen Vormittag gekaut hatte, aber er gab ihn zurück. Ich ging draußen spielen. Allein.

Ich versuchte Körbe zu werfen, so lange, bis der Ball auf dem Dach liegenblieb. Ich warf einen Bumerang, der nicht zurückkam, und zwischendurch hörte ich meinen Vater die Zutaten der Torte hacken, schlagen, umrühren. Naja, es könnte noch ein hervorragender Sommer werden! Bestimmt würde die Torte schrecklich sein. Ich versuchte mir vorzustellen, wie schrecklich sie riechen würde, oder noch schlimmer, wie sie aussehen würde. Aber als ich im Garten nachm Marienkäfern suchte, roch ich etwas Köstliches und so weit ich es sagen konnte, kam der Duft aus unserer Küche. Ich war etwas verwirrt…

Ich ging ins Haus und fragte Vater, was misslungen war. Torten für Feinde sollten nicht so gut riechen.

«Wenn ‚Torten für Feinde‘ schlecht riechen würden, würde dein Feind sie nie essen», sagte er. Daran merkte man, er hatte sie schon vorher gemacht…

Der Küchenwecker summte. Vater zog Backofenhandschuhe an und nahm die Torte aus dem Ofen. Sie sah aus wie eine ganz normale Torte. Und gut genug, um gegessen zu werden! Ich begriff den Trick. Trotzdem… Ich war mir nicht sicher, wie diese Torte funktionierte. Was bewirkte sie bei Feinden? Verursachte sie Haarausfall oder Mundgeruch? Vielleicht ließ sie Tyrannen weinen? Ich fragte Vater, aber es half nichts.

Während die Torte auskühlte, erklärte er mir, welche Rolle ich jetzt spielen musste. Er sprach ruhig: «Einen Teil der ‚Torte für Feinde‘ kann ich nicht erfüllen. Damit sie wirkt, musst du einen Tag mit deinem Feind verbringen. Noch schwerer: Du musst nett zu ihm sein. Es ist nicht einfach, aber nur auf diese Weise wirkt die Torte. Bist du sicher, dass du das machen willst?» Klar war ich mir sicher. Es klang furchtbar und war beängstigend. Aber einen Versuch war es auch wert. Alles, was ichtun musste, war, einen Tag mit Markus zu verbringen und dann war er weg für immer. Ich fuhr mit dem Rad zu ihm und klopfte an die Tür. Als Markus die Tur aufmachte, sah er mich überrascht an. Er stand auf der anderen Seite der Glastür, starrte auf mich und wartete, dass ich was sagte.

Ich war nervös.

«Kannst du spielen?» fragte ich.

Er schien etwas verwirrt. «Ich frage mal meine Mutter», sagte er. Er kam mit den Schuhen in den Händen zurück und seine Mutter kam heraus und begrüsste uns.

«Bitte, Jungs, nichts anstellen, ja?» sagte sie und lächelte.

Wir fuhren Fahrrad und spielten auf dem Trampolin. Dann füllten wir Ballons mit Wasser und warfen sie auf die Mädchen der Nachbarschaft, aber wir traffen keins. Markus Mutter bereitete uns was zu essen und dann gingen wir zu mir. Es war komisch, aber fast hatte ich Spaß mit meinem Feind. Er schien fast nett. Natürlich. würde ich es Vater nicht sagen, da er so hart an der Torte gearbeitet hatte…

Markus gefiel mein Basketballkorb. Er sagte, er wünschte sich auch einen, aber er hatte keinen Platz. Aus Höflichkeit ließ ich ihn gewinen. Markus wusste, wie ein Bumerang geworfen wurde. Er warf ihn und er kam genau zurück. Ich warf ihn und er ging über das Haus und landete im Garten hinter dem Haus. Als wir über die Zäune kletterten, um ihn zu suchen, mein Baumhaus war das erste, was Markus sah.

Mein Baumhaus war mein Baumhaus. Ich war der Chef. Wenn meine Schwester hineingehen wollte, musste ich ihr es nicht erlauben. Und wenn Markus hineinklettern wollte…

«Können wir hinein?» fragte er.

Ich wusste, er würde es fragen! Er… die erste und einzige Person auf meiner Liste! Feinde dürfen nicht in mein Baumhaus. Trotzdem… Er hatte mir beigebracht, wie man einen Bumerang wirft, ich hatte bei ihm gegessen und wir hatten noch auf dem Trampolin gespielt. Er ist kein besonders guter Feind gewesen…

«Gut», sagte ich. «Aber warte kurz.»

Ich kletterte voraus und riss meine Feinde-Liste von der Wand. Im Baumhaus hatte ich ein Damespiel und Spielkarten und wir haben so lange gespielt, bis mein Vater uns zum Abendessen ruf. Wir taten so, als ob wir ihn nicht hörten, und als er heraus kam, um uns zu holen, versuchten wir, uns vor ihm zu verstecken. Aber er fand uns trotzdem.

Vater hatte Nudeln mit Käse vorbereitet — meine Lieblingsspeise. Und es war auch die von Markus! Vielleicht war Markus letztendlich gar nicht so schlecht. Ich fing an darüber nachzudenken, das Ganze mit der Torte zu vergessen. Aber nach den Nudeln brachte Papa selbstverständlich die Torte zum Tisch. Ich sah ihn sie in acht dicke Stücke schneiden.

«Papa», sagte ich, «es ist schön, einen neuen Freund in der Nachbarschaft zu haben.»

Ich versuchte, seine Aufmerksam zu gewinnen; Ich versuchte ihm zu sagen, dass Markus längst kein Feind mehr war. Aber Papa lächelte nur und nickte. Ich glaube, er dachte, ich tat nur so. Auf dem Tisch stellte er in einer Reihe drei Teller mit großen Tortenstücken und riesigen Eiskugeln. Er überreichte mir einen Teller und Markus einen zweiten.

«Cool!» sagte Markus, als er die Torte sah. «Mein Vater macht nie solche Torten!»

Genau in diesem Moment geriet ich in Panik. Ich wollte nicht, dass Markus die Feindetorte aß! Er war mein Freund! Ich konnte ihm es nicht tun lassen! «Markus, iss nicht! Sie ist nicht gut. Ich glaube, sie ist giftig, oder so!» Markus Gabel blieb vor dem Mund stehen. Er zog die Augenbrauen zusammen und schaute mich vergnügt an. Ich war erleichtert. Ich hatte sein Leben gerettet. Ich war ein Held!

«Ach so? Wenn sie so schlecht ist», fragte er, «warum hat dein Vater schon die Hälfte seines Stückes gegessen?» Ich drehte mich zu Vater. Ohne Zweifel, er aß die Feindetorte!

«So gut…» murmelte er mit vollem Mund. Und das war alles, was er sagte. Ich saß auf meinem Stuhl und schaute für paar Sekunden zu, wie die beiden aßen. Vater lachte. Markus aß zufrieden. Und keiner der beiden verlor auch nur ein einziges Haar. Es sah sicher aus, darum kostete auch ich ein kleines Stück. Die Torte schmeckte köstlich! Nach der Nachspeise fuhr Markus heim, aber vorher lud er mich ein, ihn am nächsten Tag in der Früh zu besuchen und er würde mir zeigen, wie man sich auf dem Trampolin überschlägt. Was die ‚Torte für Feinde‘ betrifft, weiß ich noch immer nicht, wie sie gemacht wird. Ich frage mich noch immer, ob die Feinde sie hassen, oder ihre Haare ausfallen, oder ob sie Mundgeruch bekommen. Ich weiß aber nicht, ob ich je eine Antwort darauf bekommen werde, weil ich meinen besten Feind gerade verloren habe.

 

Nach: Derek Munson: Enemy Pie.

 

San Francisco, Chronicle Books, 2000

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